Blog Layout

Für ein neues gesellschaftliches Miteinander in der Kulturpolitik

Adler, Behrens, Merkel, Sappelt

Juni 2020 KuPoGe – Open Call für Essays zur Corona-Krise


In der gegenwärtigen Krise gibt es viele Ideen und Vorschläge, wie sich kultur-politische Fördermaßnahmen verändern müssen, um Kunst- und Kulturschaffende in der Krise, aus der Krise heraus (Transformation in einem veränderten Kulturmarkt) und nach der Krise (Aufbau von Resilienz, Anpassung von Förderrichtlinien etc.) helfen zu können. In fast allen diesen Vorschlägen um kurz-, mittel-, und langfristige Veränderungen geht es um das Was, also die inhaltliche Dimension von Kulturpolitik, und oft auch nur um die finanzielle Seite. Kaum diskutiert wird hingegen das Wie kulturpolitischer Kommunikations- und Entscheidungs-prozesse und damit auch die Frage, Wer eigentlich an der Formulierung kulturpolitischer Leitlinien und Ziele beteiligt ist.



In kulturpolitischen Begründungen wird immer wieder betont, dass Kulturpolitik auch Gesellschaftspolitik sei, denn sie habe großes Potenzial, in die Gesellschaft hinein zu wirken – mehr denn je wird in der Corona-Krise das Bewusstsein für die »system-relevante« Rolle von Kunst und Kultur unterstrichen. Doch wie Gesellschaft in die Kulturpolitik hinein wirkt, ist bislang eine weniger diskutierte Frage – obwohl diese Frage mit den Debatten um kulturelle Teilhabe und Partizipation sowie um Diversität im Personal, Programm und Publikum von Kultureinrichtungen in den letzten Jahren zugenommen hat. Die Corona-Krise bietet hier die Chance (und Notwendigkeit), nicht nur neue Förderbedarfe zu definieren oder mehr staatliche Verantwortlichkeiten einzufordern, sondern auch neue Formate einer dialogischen, kooperativen und kokreativen Zusammenarbeit zu entwickeln, um – gerade in kritische Zeiten – effizient und effektiv Lösungsansätze zu erarbeiten, die komplexen Herausforderungen gerecht werden. Wir erleben in diesen Tagen, Wochen, Monaten, wie gefährdet kulturelle Strukturen – Institutionen, vor allem aber auch die vielen Kulturschaffenden und ihre selbst geschaffenen vielgliedrigen Netzwerke – sind. Schmerzhaft bemerken wir das Fehlen der Instrumente, um diese Strukturen aufrecht zu erhalten und die beteiligten Menschen zu schützen. Es geht also tatsächlich darum, Strukturen resilient, also widerstandsfähig gegen künftige Krisen zu gestalten.



Kulturpolitische Entscheidungsprozesse sind bis heute vor allem die Domäne von Politik und Verwaltung. Zivilgesellschaftliche Akteur*innen oder Interessensgruppen von Kunst- und Kulturschaffenden sind daran kaum beteiligt. Insbesondere die Kulturverwaltung übernimmt dabei eine zentrale, oftmals dominierende Stellung ein. Ihr obliegt keineswegs nur die Umsetzung kulturpolitischer Entscheidungen der gewählten Volksvertreter*innen, sondern auch deren Vorbereitung, Ausformulierung und Interpretation sowie die fortwährende Kommunikation mit den Akteur*innen im kulturellen Feld. Anders ausgedrückt: Kulturpolitik ist immer noch ein politisches Feld, in dem es mehr Government denn Governance gibt, insbesondere auf der städtischen Ebene.



Diese starke Position der Kulturverwaltung wird in der Regel damit gerechtfertigt, dass nur so schnelles und wirksames Handeln ohne zeitraubende Abstimmungsrunden möglich sei. Und in der Tat haben die Kulturverwaltungen in vielen Städten gerade bei den Corona-Soforthilfen auf beeindruckende Weise bewiesen, wie kompetent, beweglich und handlungsfähig sie sein können. Allerdings dürfte allen bewusst sein, dass eine solch tendenziell paternalistische Führungspraxis auch etliche Nachteile mit sich bringt und deshalb nicht den Normalfall darstellen kann. Genau genommen lautet die Frage also, warum dialogische, kooperative und kokreative Problemlösungen so viel langsamer sein sollen als zentralisierte Entscheidungen. Die Antwort darauf scheint vergleichsweise einfach zu sein: weil man bis heute versäumt hat, entsprechend leistungsfähige Strukturen aufzubauen. Im Gegenteil: Gerade in Berlin wurden einzelne Verwaltungen auf eine Art und Weise zusammengekürzt, dass ihnen die Arbeit buchstäblich über den Kopf wächst. Unter diesen Umständen muss die Einbindung von weiteren Akteur*Innen unwillkürlich als zusätzliche Belastung erlebt werden, für die es weder Zeit noch Geld gibt. Unter diesen Bedingungen erfolgreich zu arbeiten, verdient größte Anerkennung. Allerdings muss eine demokratische Kultur auch in Krisenzeiten sensibel für jegliche Einschränkungen ihrer Möglichkeiten zur Selbstverständigung und Mitbestimmung bleiben. Und so sollte es gerade jetzt darum gehen, eben jene Strukturen aufzubauen, die solche Krisen in Zukunft eben dialogisch, kooperativ und kokreativ meistern lassen. Strukturen, in denen die für das kulturpolitische Feld relevante Akteure eingebunden sind. Denn allein schon aufgrund der Diversität der Beteiligten lassen sich die komplexen Herausforderungen in der Regel sehr effektiv meistern. Das heißt natürlich, über einen strategisch sinnvollen Umbau von Verwaltungsstrukturen zu Gunsten von neuen und funktionierenden Kooperationsgefügen nachzudenken.



Bis heute fehlt es an kooperativen Strukturen, in denen kulturpolitische Themen mit Kunst- und Kulturschaffenden und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen kontinuierlich verhandelt, problematisiert und letztlich als Politiken entwickelt und später auch umgesetzt werden können. Nur sehr wenige Kommunen haben bislang Kulturbeiräte, Runde Tische oder ähnlich strukturierte Austauschformate zwischen den unterschiedlichen Akteursgruppen im kulturellen Feld. Doch in diesem gemeinsamen Zusammenwirken liegt die Idee einer Cultural Governance.



Bereits 1980 hat die UNESCO darauf hingewiesen, das Staaten Kunst- und Kulturschaffende wie auch die Zivilgesellschaft in die Erstellung von Kulturpolitik mit einbeziehen sollten. Unter dem Absatz VII Cultural Policies and Participation wird dort formuliert:



»Member States should endeavour, in accordance with paragraphs 111.7 and V.5 of this Recommendation, to take appropriate measures to have the opinions of artists and the professional and trade union organizations representing them, as well as of the people at large, in the spirit of UNESCO's Recommendation on Participation by the People at Large in Cultural life and their Contribution to It, taken carefully into account in the formulation and execution of their cultural policies. To this end, they are invited to make the necessary arrangements for artists and their organizations to participate in discussions, decision-making processes and the subsequent implementation of measures aimed, inter alia, at: (…).”



Im Enquete-Bericht »Kultur in Deutschland« von 2007 wurde ebenfalls angemahnt: »Kulturpolitik ist also kein ›Closed-Shop‹ der öffentlich verantworteten und getragenen Institutionen, sie lebt vielmehr vom Diskurs und der Teilhabe zahlreicher Akteure aus der kulturellen Szene und der Bürgerschaft.« (S.52). Im Enquete-Bericht wurde das Leitbild einer Cultural Governance festgeschrieben, das »alle kulturpolitischen relevanten Akteure (staatliche und private) einbezieht« (S.93), um im gemeinsamen Diskurs kulturpolitische Prioritäten zu formulieren und kooperative Lösungsstrategien zu erarbeiten. Eine Governance-Perspektive legt den Fokus auf das Wie politischer Steuerung und Koordinierung und bezieht sich auf kooperative Prozesse des Regierens und der politischen Entscheidungsfindung anstelle von hierarchischen oder marktförmigen Formen der Handlungskoordination. Dem liegt die begründete Annahme zugrunde, dass die Art und Weise des Regierens auch einen Einfluss auf die Inhalte hat und dass Ziele von Kulturpolitik abhängig sind davon, wer an der Definition dieser Ziele beteiligt ist. Die Einbeziehung von heterogenen Akteuren darf also nicht verwechselt werden mit simplem Lobbyismus. Es geht vielmehr darum, mehrere unterschiedliche Perspektiven einfließen zu lassen. Denn Governance-Prozessen geht es nicht mehr um die »Macht über etwas« (power over) wie in einem hierarchischen Steuerungsverständnis, sondern die »Macht zu etwas« (»power to«). Die zentrale Herausforderung besteht dann darin, zwischen den Akteuren gemeinsame Handlungsfähigkeit herzustellen. Eine solch kooperativ ausgerichtete Kulturpolitik wird bislang aber nur sehr wenig angestrebt und umgesetzt. Zentral dafür ist zu überlegen: (1) Wer nimmt teil? (2) Wie kommunizieren die Teilnehmer*innen miteinander und wie treffen sie gemeinsam Entscheidungen? sowie (3) Wie fließen diese Entscheidungen dann in politische Prozesse ein?


Die Covid-19 Pandemie unterstreicht, dass ein Austausch zwischen Politik, Verwaltung und unterschiedlichen Akteur*innen im kulturellen Feld dringend notwendig ist, um zu verstehen, unter welchen lokalen und globalen Rahmenbedingungen gegenwärtige künstlerisch-kulturelle Praxis stattfindet und um angepasste Lösungen für die unterschiedlichen Herausforderungen städtischer Kulturpolitik zu finden. Aber auch unabhängig von den momentan drängenden Problemen für den kulturellen Bereich, die durch die anhaltenden Hygienevorschriften und die dadurch ausgelöste Wirtschaftskrise verursacht werden, gibt es eine Vielzahl an komplexen Herausforderungen in der Kulturpolitik, die nicht ohne das Wissen und die Unterstützung der unterschiedlichen Akteur*innen im kulturellen Feld gelöst werden können. Wir haben in den letzten Jahren eine Vielzahl an Kollektivierungsstrategien unabhängiger Künstler*innen und Kulturschaffenden gesehen, die in spartenübergreifenden Interessensvertretungen zusammenkommen, sich aber mit ihrem Wissen und Engagement in der gegenwärtigen Kulturpolitik immer noch oft übergangen fühlen oder als Lobbygruppe unzureichend beschrieben sehen. In wenigen Fällen ist es ihnen gelungen, mit der kommunalen Kulturpolitik in einen gemeinsamen Dialog zu treten und sogar neue Förderinstrumente miteinander zu entwickeln. Hier gilt es anzuknüpfen und diese künstlerisch-kulturellen wie zivilgesellschaftliche Akteur*innen langfristig in kulturpolitische Koordinations- und Steuerungsprozesse einzubinden und eine kooperative Kulturpolitik im Sinne einer Cultural Governance zu entwickeln.






Verwendete/weiterführende Literatur:





Deutscher Bundestag (Hrsg.): Schlussbericht der Enquete-Kommission ›Kultur in Deutschland‹, Drucksache 16/7000 (11.12.2007), Berlin 2007, 512 S.



Fung, A. (2006): Varieties of participation in complex governance. Public Administration Review, 66, S. 66-75.



Knoblich, T. J., & Scheytt, O. (2009): Zur Begründung von Cultural Governance. Aus Politik und Zeitgeschichte, 8 (2009), S. 34-40.



Schad, A. S. (2019). Cultural Governance in Österreich: Eine interpretative Policy-Analyse zu kulturpolitischen Entscheidungsprozessen in Linz und Graz (Vol. 70): transcript.



UNESCO (1980): Recommendation concerning the Status of the Artist. New York: UNESCO http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=13138URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html (Onlinezugriff 20.05.2020)





Essay herunterladen























von Vera Allmanritter, Janina Benduski, Klaus Lederer, Janet Merkel, Sven Sappelt 26 Feb., 2021
Diskussion im Rahmen des Festivals "Rewriting the Future", organisiert von der Allianz Kulturstiftung. In Städten weltweit stellt die COVID-19-Pandemie den Kunst- und Kulturbetrieb vor große Herausforderungen. Wie hat sich die Krise auf die Kulturlandschaft Berlins ausgewirkt? Wie haben lokale und nationale Akteure darauf reagiert? Welche politischen Maßnahmen braucht es, um den Bereich wiederaufzubauen? In ihrer Panel-Diskussion werden sich Dr. Janet Merkel (Professorin an der TU Berlin), Dr. Vera Allmanritter (Leiterin des Instituts für Kulturelle Teilhabeforschung), Dr. Klaus Lederer (Berliner Senator für Kultur und Europa) und Janina Benduski (Vorsitzende Landesverband freie Darstellende Künste Berlin) mit diesen und weiteren drängenden Fragen befassen und dabei auf aktuelle Forschungsergebnisse zurückgreifen, die die kulturpolitischen Reaktionen auf die Pandemie in Berlin, London, Paris, New York und Toronto vergleichen. [Veranstaltung auf Deutsch] Moderation: Dr. Sven Sappelt (CLB Berlin, Institute for Cultural Governance)
von Helmut K. Anheier, Janet Merkel, Katrin Winkler 29 Jan., 2021
Research led by Hertie School and supported by Allianz Kulturstiftung
von Adler, Behrens, Merkel, Sappelt 21 Dez., 2020
Zuerst veröffentlicht auf der Website der Kulturpolitischen Gesellschaft
Share by: